Adolf Pinner

von G. Kraemer

Berichte d. Deut. Chem. Gesellschaft XXXXII (1909), 4989-5000

Teil II (s. 4991- 4993)

Köstlich war seiner Methode, unsere Arbeitswilligkeit aufzumuntern. Er lud uns Sonntags zum Mittag ein, um dann nach eingenommenem Mahle mit uns in das Laboratorium zu ziehen und, wie er sagte, noch ein paar Tastversuche anzustellen, die in der Regel den Rest des Sonntags bis zum Abend in Anspruch nahmen. Ich, inzwischen zum Vorlesungsassistenten aufgerückt, hatte nur selten unter diesem Arbeitseifer zu leiden. Freund Pinner habe ich aber oft nicht wenig brummen hören, wenn ihm auf diese Weise ein geplanten Zusammentreffen mit Bekannten oder ein Ausflug in Berlins Umgebung zu Wasser geworden war. Nichtsdestoweniger gingen wir für unseren Lehrer durchs Feuer und sahen über alle diese kleinen Eigentümlichkeiten gern hinweg, angesichts des Einflusses, den er in wissenschaftlicher und jeder anderen Reziehung auf uns alle übte.

Gar oft haben wir als alte Knaben uns der schönen Zeit bei Hofmann erinnert und uns beglückwünscht, eine Reihe von Jahren zu den Füßen eines so mit sich fortreißenden Lehrers gesessen zu haben.

Pinner war derzeit ein außerordentlich fleißiger Mann von großem allgemeinen Wissen, der auf mich, mit dem es in dieser Beziehung armselig bestellt war, einem sehr nachhaltigen Einfluß übte. Ich vergalt ihm dies, indem ich sein fast zu ernstes, schwerblütiges Wesen bekämpfte, das ihn zu rechter Lebensfreude nur selten gelangen ließ. Wenn wir übrigen der Sangeslust uns hinghaben und selbst unserem nachsichtigen Chef manchmal damit lästig fielen, sass Pinner oft in sich gekehrt dabei und sprach: "War seid Ihr glücklich, so fröhlich singen zu können, in meinem Vaterhause habe ich das nicht gelernt."

Kurz vor Ausbruch des französischen Krieges verließ unser Freund das Laboratorium und ging nach Dieuze, um in die dortige Fabrik von Säuren und Alkalien der "Fabriques des produits chimiques de Thann et de Mulhouse" einzutreten. Seines Bleibens dort war aber nicht lange. Der mit voller Wucht beim Beginn des Krieges ausbrechende Deutschenhass vertrieb ihn, nicht zu seinem Nachteil, denn seine Eigenart lag sicherlich mehr auf Seite der wissenschaftlichen als auf der angewandten Chemie. Nach kurzer Betätigung bei den infolge der großen Verluste notwending werdenden Desinfektionsarbeiten im Felde kehrte er nach Berlin zurück und erhielt darauf den Ruf als Lehrer der Chemie und Physik an die damals noch "Königl. Tierarzneischule" genannte Tierärztliche Hochschule. Hier hat er über dreißig Jahre als Lehrer anfangs für Physik und Chemie und später für diese allein höchst fruchtbringend gewirkt; daneben hielt er Vorlesungen an der Universität, u.a. auch über Pharmazie, so lange er als Examinator der studierenden Pharmazeuten tätig war. Sodann beteiligte er sich als nichtständiges Mitglied des Patenamts sehr lebhaft an dessen Arbeiten; auch war er ein sehr geschätztes Mitglied der technischen Deputation, als welches erin vielfache Berührung mit der Industrie gelangte. Seine Arbeitskraft wa auch damit noch nicht erschöpft. Er ist, wie aus dem Folgenden ersichtlich, in ausgiebiger Weise noch schriftstellerisch tätig gewesen.

Hier mag noch sein Familienleben erwähnt werden, das nicht besser geschildert werden kann als mit den Worten des Predigers am Sarge des Entschlafenen:

"Ist Ehe in ihrer höchsten Ausprägung: Ergänzung, Ausgleich, gegenseitiges Geben und Empfangen, so darf diese getrost zu den mustergültigen und vorbildlichen gerechnet werden. Denn gerade die Achtung der Gattin, ihre geistige Empfänglichkeit und Aufgeschlossenheit, ihre Fürsorglichkeit und Hingebung vereinigte sich mit seinem Streben, mit seiner Arbeitsfreudigkeit und Schaffenslust zu einem harmonishen Ganzen und einem innerlich gehobenen, frohbewegten Leben, das doch des Friedens und der Behaglichkeit niemals entbehrte".

In der Tat bin ich bei dem regen Verkehr, der zwischen unseren beiden Häusern waltete - viele Jahre hindurch kamen wir fast jede Woche zusammen, es ereignete sich kaum eine Familienfeier, kein Trauerfall, die uns nicht vereint hätten - ein Kronzeuge gewesen für das glücklichen Familien- und Eheleben unseres Freundes. Er war ein gütiger Gatte und Vater, seinen Kindern ein Vorbild für Pflichttreue und Arbeitsamkeit. Aus dem ernsten Jüngling war ein stets gern gehörter, humorerfüllter Gesellschafter geworden, ein lieber prächtiger Mensch, der für jede ihm jemals angetane Liebe kein Vergessen kannte. Daher auch seine offene Hand, die zumal seine Verwandten und alle die, welche sich bei der Durchführung seiner Studien werktätig gezeigt hatten, nicht genug zu rühmen wußten. Einen nicht unbeträchtlichen Teil seines Einkommens hat er gern und willig für diese Zwecke geopfert.

Er war auch ein tapferer Mann, der mit seiner Meinung nicht zurückhielt, selbst wenn er dadurch bei andern Anstoß erregen konnte. Seine Glaubensgenossen rühmen an ihm, daß er einer der Mitbegründer des Zentralvereins Deutscher Staatbürger jüdischen Glaubenn gewessen sei, obwohl er selbst unter dem Unrecht, das diese ihrer Meinung nach in unserem Staate erfahren, und dessen Bekämpfung sich der Verein zum Ziel gesetzt hatte, niemals zu leiden gehabt hat. In der Tat war dies ein hervorstechender Zug in der Wessen unseres Freundes, gegen alles, was er für Unrecht hielt, in die Schranken zu treten. Wie weit in diesem Falle de Kampf berechtigt ist, mag hier unerörtert bleiben. Wir Alten Wußten in unserer Jugend Gott sei Dank nichts von dieser Ablehnung und befanden uns jedenfalls besser dabei. Offensichtlich hat diese Erscheinung in den letzten Jahren seines Lebens schwer auf unserem Freunde gelastet, und manche Klage ist in meinem Beisein darüber laut geworden; unser Verhältnis hat jedoch niemals darunter gelitten. Pinner war von robuster Gesundheit, sodaß ihm bei größerer Schonung seiner Kräfte wohl ein längeres Leben zuteil geworden wäre. Er erlag der so weit verbreiteten Alterskrankheit, der Arterienverkalkung. Zunehmende Atembeschwerden zwangen ihn, seine geselligen Beziehungen mehr und mehr einzuschranken. Schwer wurde ihm die Einschränkung seiner amtlichen Tätigkeit, die mit dem Austritt aus dem Patentamt begann. Sein Lehramt hat her sozusagen bis zu seinem letzten Atemzuge ausgeübt. Noch im März dieses Jahres erhielt ich eine Karte von ihm, worin er die Besserung seines Befindens anzeigte. "Mein Bronchialkatarrh hat herheblich abgenommen, und die Atembeschwerden sind geringer geworden. Ich setze meine Hoffnung auf den Frühling", so schrieb er. Sie sollte ihn täuschen.

Adolf Pinner, Teil III.

Adolf Pinner.

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