Adolf Pinner

von G. Kraemer

Berichte d. Deut. Chem. Gesellschaft XXXXII (1909), 4989-5000

Teil I (s. 4989-4991)

"Uns Fällt der Tod mit sicheren Geschossen, Heut trifft er mich und morgen den Genossen."

Adolf Pinner, der gute Mensch, der liebevolle Gatte und Vater, der Treue Freund ist dahin gegangen, sein arbeitsreichen Leben ist Ausgelöscht. Mir ist mit seinem Heimgang viel genommen. Dies noch einmal vor Augen zu führen, soll der Zweck der nachfolgenden Zeilen sein.

Adolf Pinner stammte aus einer kinderreichen Familie. Er wurde in Wronke, später in Birnbaum (Provinz Posen) lebenden Rabbiner Levin Aron Pinner als jüngster Sohn am 31 August 1842 geboren, dem elf Geschwister vorangingen, wovon noch sieben am Leben geblieben waren. Dem kümmerlichen Einkommen seines Vaters, mehr aber noch dessen Hange zum Wohltun und zur Liebestätigkeit ist es zuzuschreiben, das die Kinder in den allereinfachsten Verhältnissen aufwuchsen mußten. Der Vater war ein frommer, grundgelehrter Mann von ernster Lebensanschauung, der, wie es scheint, an seinem Jüngsten ein besonderes Wohlgefallen gefunden hatte, sich viel mit ihm beschäftigte und schon früh, für unser Empfinden zu früh, für seine Ausbildung sorgte. Mit vier Jahren schon wurde der Junge in die Schule geschickt. Daß er keiner der schlechtesten Schüler war, beweist der Ausspruch seines damaligen Lehrers: " Wenn der Dicke fehlt, gibt es nur dünne Antworten."

Die harte Zeit der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts hat, wie auf so viele, auch auf den jungen Pinner ihre Schatten geworfen. Hart wurde er angepackt, und mühsam mußte er um sein Dasein ringen, ein gut teil seiner Lebensfreudigkeit mag dabei verkümmert sein. Kaum glaublich ist, wenn man hört, daß der arme Junge, wenn er sich auf dem Tisch ein Leselampe zurecht gebaut hatte, um von dem trüben Licht der einzigen Hängelampe im Zimmer zu profitieren, auch dort nicht in Ruhe gelassen wurde. Von seiner älteren Schwester, deren übergroßer Ordnungssinn solche Übergriffe nicht dulden wollte, wurde er dann wohl auf den Boden gescheucht, um dort bei kümmerlichem Tageslicht seine Schularbeiten zu vollenden.

Mit 14 Jahren schon fand er Aufnahme in dem jüdisch-theologischen Seminar der Frankel-Stiftung in Breslau, woselbst er sieben Jahre hindurch den ernstesten philosophischen und theologischen Studien oblag, da er sich nach seines Vater Wunsch auf das Rabbinat vorbereite. Aber hier erfaßte ihn ein anderes Verlangen. Wohl nicht unbeeinflußt von seinem älteren Bruder, der nach Nordamerika ausgewandert war und dort in zäher Ausdauer sich eine gesicherte Stellung zu erringen gewußt hatte, sehen wir unseren Freund sich fürdie Naturwissenschaften erwärmen. Er scheut nicht den Schmerz seines Vaters, überzeugt, daß dieser sich später noch mit seinen Plänen aussöhnen wird, und zieht nach Glogau, um auf dem dortigen katholischen Gymnasium nach kurzer Vorbereitung das Zeugnis der Reife zu erringen und sich damit den Weg zur Universität zu bahnen.

Mit jugendlicher Begeisterung liegt er in Berlin unter Braun, Dove, Magnus, Paalzow, Gustav und Heinrich Rose u.a.m. den naturwissenschaftlichen Studien ob, wobei er sich mit den dürftigsten Mitteln durchs Leben schlagen mußte und gewiß nicht selten auf Beihilfe seiner Verwandten angewiesen war. Um in die Brust des Studenten Enthusiasmus für die chemische Wissenschaft zu pflanzen, waren zu jener Zeit die Berliner Universitätsverhältnisse nicht eben günstig. Ein Laboratorium für Studierende gab es überhaupt nicht, und die Lehrer waren zum Teil veraltet oder unzulänglich. Dagegen war in dieser Beziehung von anderen Lehranstalten um so besser gesorgt. Für zehn Taler pro Semester konnte man in dem unter der Leitung von Finkener stehenden Laboratorium der Bergakademie nicht nur eine ausgezeichnete Vorbildung erhalten, sondern es standen dafür auch alle Gerätschaften und Reagenzien zur Verfügung, ja nach dem Willen des damaligen Direktors Hauchecorne auch alle für die Doktorarbeiten benötigten Präparate, so daß mann seinen Neigungen im weitesten Sinne nachgehen durfte. In diesem Laboratorium wurde der Grand zu der langjährigen Freundschaft gelegt, die mich mit Adolf Pinner fürs Leben verbunden hat. Er war seiner Promotionsarbeit beschäftigt, ich suchte mich, nach abgelegter Staatsprüfung für Apotheker, in der quantitativen Analyse noch möglichst sattelfest zu machen. Mit Beginn des Jahres 1867 trat ich in das Hofmannsche Laboratorium als Privatassistent ein, wohin Pinner mir einige Monate später nachfolgte. Das Laboratorium lag in der jetzt verschwundenen Cantianßtasse und bestand aus zwei mäßig großen Arbeitsräumen, in denen außer mir Martius, Olshausen, Sullivan und sell als Assistenten, Mendelsshon und Riess als Praktikanten tätig waren. Wenige Monate nach meinem Eintritt kam eines Tages Meister Hofmann in das Laboratorium und richtete die Frage an uns: Wie ist die Zusammensetzung des Erythrits? Alles verstummte und wußte nicht sogleicht die richtige Antwort darauf zu geben. "Sehen sie, meine Herren", sagte er, "ich habe soeben einen jungen Mann geprüft, der mir keine Antwort schuldig geblieben ist, ausgezeichnet beschlagen war und mir schließlich auch sagen konnte, was die Zusammensetzung des Erythrits ist. Er heißt Pinner und wir demnächst als Privatassistent hier eintreten." Man sieht, daß zu damaliger Zeit an das Wissen der Studenten nicht gerade allzu hohe Forderungen gestellt wurden, man verlangte vielmehr volle Hingabe an der Wissenschaft und Aufgehen in dem Interesse des Lehrers, woran wir es in der Tat nicht fehlen ließen. Mit der bald darauf erfolgenden Übersiedlung des Laboratoriums nach der Georgenstraße begann, nachdem kurz nach einander die bisherigen Assistenten bis auf Sell und mich in die Industrie übergegangen und dafür Buff, Bannow und Sarnow eingetreten waren, ein höchst anziehendes, geselliges, daneben aber auch ein sehr arbeitsreichen Leben. Unser geliebter Lehrer Hofmann schonte seine Assistenten nicht. Von einer achtstündigen Arbeitszeit war damals noch nicht die Rede.


Adolf Pinner, Teil II.

Adolf Pinner.

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